Am vergangenen Freitag stand in unserer lokalen Zeitung ein Artikel mit dem Inhalt, dass im diesjährigen Rekordsommer bis dato die Anzahl der Badeunfälle in Norddeutschland stark angestiegen ist und immer weniger Menschen schwimmen können. Ich befürchte, dass dies für viele Bäder der Anlass sein wird, die ohnehin schon sehr restriktiven Baderegeln und Verbote noch weiter zu verschärfen. So ist es in immer weniger Bädern erlaubt, Tauchmasken und Flossen zu benutzen, die gerade bei jungen Mädchen sehr beliebten Meerjungfrauenflossen dürfen häufig nur während besonderer Events zum Einsatz kommen und wenn man eine Easybreath (oder einen Nachbau) hat, wird man nicht selten auch komisch angeschaut. Dabei ist das meines Erachtens der komplett falsche Weg, denn gerade diese Erfindungen sind gerade für Kinder der beste Ansporn, schwimmen zu lernen, weil die sowas im allgemeinen "richtig cool" finden. Dass gerade Naturgewässer mit Aufsicht schon beim winzigsten Verdacht auf Blaualgen gleich rigoros gesperrt werden, hilft auch nicht weiter. Sicherlich sind die gesundheittschädlich, aber ich finde, man sollte den mündigen, erwachsenen Bürgern doch noch ein Mindestmaß an eigener Entscheidungsfähigkeit zugestehen und ihnen auch erlauben, mal auf die Nase zu fallen. Ich habe in der Spree vor Berlin in den 1980ern schwimmen gelernt und das war zu der Zeit eine grün-braune stinkende Kloake. Sobald ich mich sicher im Wasser bewegen konnte, kam gleich das "Upgrade" auf Tauchmaske und Flossen, und das, was wir in der DDR hatten, war lange nicht so "high tech" wie das, was man heute bekommt. Trotz null Sicht hatte ich meinen Spaß dabei.
Hier sind wir beim nächsten Punkt: Spaß und Freude. Gerade Kinder (aber auch erwachsene) lernen etwas am besten, wenn sie Freude daran haben. Schwimmen mit ernsthaftem sportlichen Hintergrund bereitet aber nicht allen Freude. Allerdings wird mittlerweile bei Klassenfahrten oder Jugendfreizeiten, wenn ein Badbesuch auf dem Plan steht, schon das Bronzeabzeichen gefordert, damit die Kinder ins tiefe Wasser dürfen. Zu meiner Schulzeit reichte ein Seepferdchen oder notfalls probeschwimmen vorm Bademeister aus. Gerade für unsportliche Kinder, die aber trotzdem nicht unbedingt Probleme damit haben müssen, sich sicher im Wasser zu bewegen, können schon die recht moderaten Zeitlimits im Bronze-Abzeichen eine Hürde sein, weil so etwas nicht selten auch psychische Blockaden erzeugt... "Ich MUSS in 15 bzw. 7 Minuten die 200m schaffen"... Hier kann man sich am Tauchsport orientieren. Bei PADI z.B. gibt es die "Recreational" Schiene, bei der die ganze Sache relaxt angegangen wird. Der normale Open-Water-Diver-Kurs hat keine Zeitlimits, sondern ist nach der Art "learning by doing" aufgebaut und insbesondere bei den Tauchgängen im tiefen Wasser fühlt sich das ganze schon so an wie nach der Ausbildung. Man kann tatsächlich vergessen, dass man gerade eine Ausbildung macht und hat irgendwann den Schein und "kann es einfach". Wer die sportliche Herausforderung sucht, kann danach die Professional-Schiene einschlagen, über Divemaster, bis hin zum Tauchlehrer. Probeschwimmen musste ich bei meinem OWD-Kurs auch, weil ich kein einziges Schwimmabzeichen habe, es gab hier aber kein Zeitlimit. Da hieß es einfach: Du schwimmst zu der Boje da, dann zu der anderen Boje da drüben und kommst dann zurück.
Analog dazu sollte man im Schwimmbereich darüber nachdenken, ob man irgendetwas einführt, was mehr als das Seepferdchen ist, ohne Leistungs-Anspruch, sondern eine Art "Zeugnis für die Fähigkeit, sich sicher und selbstständig im Wasser bewegen zu können". Und das sollte dann für alle "Spaß-Schwimm-Events" ausreichend sein, für die man heute Bronze haben muss.
Und nicht zuletzt tun auch noch das Bädersterben und der Wellnesswahn ihr übriges dazu. Die Schließungen kleinerer Bäder und der Rückbau von ehemals attraktiven Bädern wie dem Freibad Mindener Landstraße in Nienburg zu reinen Wellness-Anlagen mit ggf. noch Sportbecken hält gerade die, die es am nötigsten hätten, nämlich Kinder und Jugendliche, vom schwimmen lernen ab - denn bei Wellness braucht man das i.d.R. nicht und Sportbecken locken nur die an, die sowieso sportlich schwimmen wollen - und die können bzw. lernen schwimmen. Und wenn das Bad "voll LW" ist (oder wie man heute sagt), dann setzt man sich halt eher an den PC und spielt Subnautica (wenn man hat, ggf. sogar mit VR-Equipment). Die Sportschwimmer schieben die abnehmende Schwimmkompetenz zwar auf die Freizeitbäder, allerdings sehe ich das nicht so, denn die Fähigkeit des sicheren Umgangs mit Wasser ist auch bei den heutigen Rutschen mit Flachwasser-Landebecken sinnvoll - schließlich kann man auch in einer Pfütze ertrinken. Und bei Strömungskanälen und Sprungtürmen ist die Sache auch klar.
tl;dr: Was also meiner Meinung nach getan werden muss, ist, kind- und jugendgerechte Anreize zu schaffen, schwimmen zu lernen:
- Verbote von Schwimmutensilien wie Flossen und Tauchmasken lockern
- Neuentwicklungen auf dem Markt wie Easybreath-Masken oder Meerjungfrauenflossen bereitwillig aufnehmen und damit arbeiten, nicht nur einmal im Monat in einem Sonderevent, sondern die Nutzung immer erlauben (wenn nicht zu voll) und ein paar Spiele wie durch Ringe schwimmen immer mal wieder einwerfen
- Beckenlandschaften kreativ ausbauen - viele Bäder haben zwar ständig Finanzprobleme, aber auch mit wenig Mitteln kann man kreative Wasserlandschaften aus Kunstfelsen, Kunststoff-Schatztruhen mit Tauchringen darin als Schatz und Airbrush-Bemalungen der Beckenwände schaffen
- Bei Vorhandensein von Naturgewässern den Badegästen auch wieder mehr Selbstständigkeit zutrauen
- Mehr Alternativen bei den Schwimmabzeichen, nicht alles auf Leistungssport trimmen
Wie seht ihr die Sache?